IM WESTEN NICHTS NEUES Regisseur Edward Berger nimmt uns mit hinter die Kulissen des deutschen Kriegsepos.
Als Francis Ford Coppola 1979 in Cannes vor die Presse trat, um von der Arbeit an „Apocalypse Now“ zu berichten, erzählte er, dass das gesamte Team mit Fortschreiten der Produktion zunehmend den Verstand verloren hätte. Es sei kein Film über Vietnam. Er sei Vietnam. Immer wieder berichten Filmemacher von ihren Arbeiten an Kriegsfilmen, es sei für sie gewesen, als befände man sich tatsächlich im Krieg. Sie selbst fühlten sich wie Feldherren, die ein ganzes Heer befehligten und jeden Tag wieder aufs Neue in die Schlacht zogen. Film als Ausnahmezustand, um über Menschen im Ausnahmezustand zu erzählen.
Auf IM WESTEN NICHTS NEUES, der ersten deutschen Verfilmung des Jahrhundertromans von Erich Maria Remarque, bis heute mit mehr als 40 Millionen verkauften Exemplaren das weltweit meistgelesene Stück deutsche Literatur, trifft das nur bedingt zu. Weil der Blick des Films ein anderer ist, weil er vom Ersten Weltkrieg erzählt nicht aus der Sicht der Gewinner, sondern des Verlierers. Hier gibt es keine Triumphe, keine Siege. Hier gibt es nur Verlierer und bestenfalls kurze Momente des Überlebens im Angesicht der Knochenmühle. Deshalb trifft einen IM WESTEN NICHTS NEUES mit besonderer Wucht, ist sein Blick so menschlich und mitfühlend.
Ein anderer Grund ist Regisseur Edward Berger. Er würde sich niemals als Feldherr bezeichnen. Sehr wohl hat er eine präzise Vision und große Ambition. Aber er versteht Film als Teamarbeit, als Gemeinschaftsleistung, die nur so gut sein kann wie das schwächste Glied in der Kette. Wenn man seinen IM WESTEN NICHTS NEUES mit einer militärischen Operation vergleicht, dann nur wegen der gewaltigen logistischen und produzentischen Leistung, die vonnöten war, den wohl größten deutschen Film der letzten zehn Jahre tatsächlich zu realisieren. Bei Edward Berger laufen die Fäden zusammen.
Reiner Bajo
Gesponnen werden diese Fäden indes von seinen Schauspielern – der großartigen Entdeckung Felix Kammerer ebenso wie den Stars Albrecht Schuch, Edin Hasanovic, Aaron Hilmer, Daniel Brühl und Devid Striesow – und vor allem den Gewerken, die gleichberechtigt auf einer Augenhöhe mit der Regie arbeiten. Wenn Kameramann James T. Friend, Komponist Volker Bertelmann, Szenenbildner Christian Goldbeck, Kostümbildnerin Lisy Christl, Maskenbildnerin Heike Merker und Editor Sven Budelmann und ihre Teams nicht jeder für sich über sich selbst hinausgewachsen wären, hätte ein Ausnahmefilm, wie es IM WESTEN NICHTS NEUES geworden ist, ein Antikriegsfilm im Wortsinne, niemals entstehen können.
Im Folgenden nimmt uns Regisseur, Produzent und Drehbuchautor Edward Berger mit auf eine Reise durch eine Anzahl von Schlüsselszenen seines Films und gewährt einen faszinierenden Blick hinter die Kulissen, der unterstreicht, wie elementar die Beiträge des Kreativteams waren, um IM WESTEN NICHTS NEUES zu einem modernen Klassiker werden zu lassen, der ein Publikum auf der ganzen Welt bewegt, erschüttert und aufrüttelt.
Die Realität des Krieges
Edward Berger: Ausgedacht haben wir diese Einstellung in einer Hotelsuite des Savoy in Berlin. James, mein Kameramann, kam angereist, und wir setzten uns zusammen und haben gemeinsam Storyboards aufgezeichnet. Wir fanden, wir bräuchten zum Auftakt des Films eine besondere Einstellung, in der wir, ohne etwas zeitlich auszusparen, mit diesen Jungs im Schützengraben sind und mit ihnen rausklettern, mitten hinein in die Schlacht, die draußen tobt. Das wollten wir live miterleben.
Am besten vermittelt man das mit einer langen, ungeschnittenen Einstellung. Mit dieser Maßgabe haben wir angefangen, die Szene aufzuzeichnen. Da sieht man sich schnell mit Herausforderungen konfrontiert: Wie macht man das, einem Soldaten in einer gleichmäßigen Bewegung aus einem zweieinhalb Meter tiefen Schützengraben nach draußen zu folgen? Ich habe James fragend angesehen. Er zuckte mit den Schultern und sagte: „We’ll figure it out later!“. Er vertraut voll und ganz auf sein Team. Und er wusste, dass er eine Lösung finden wird, wenn auch sein Grip und sein Operator mit dabei sind. Ohne die Leute und Künstler an meiner Seite wäre ich aufgeschmissen. Ihre Ideen und ihr Können helfen mir, den Film so machen zu können, wie ich es für richtig halte. Nur gemeinsam findet man Lösungen.
Wir haben die Einstellung drei Tage geprobt. Erst einmal nur mit iPhone, einfach nur wir, um ein Gefühl für die Erfordernisse zu bekommen. Dann kamen Kamera und Grip und das AD-Team dazu, aber noch ohne Schauspieler und Statisten. Da stimmten wir die Bewegungen und den Vorgang ab. Am Tag vor dem Drehtag probten wir die Szene dann noch ein letztes Mal mit dem Schauspieler und den Stuntleuten, damit auch sie wussten, was wir machen wollten. Man darf bei so komplexen Einstellungen nichts dem Zufall überlassen. Alle Bewegungen und Blicke müssen sitzen.
Wir beginnen mit einer Handkamera in einem so genannten Stable Eye, die sich durch den Schützengraben bewegt, um bei dem Soldaten anzukommen. Wenn es dann aus dem Schützengraben herausgehen soll, wird die Kamera in einer fließenden Bewegung an einen Technokran gehängt. Oben wird sie dann wieder abgehängt und von einem Operator in einem weiteren Stable Eye übernommen. Damit die Crew Zeit hat, diese Vorgänge auszuführen, muss man Pausen einbauen: Unten im Schützengraben muss unser Schauspieler auf einen anderen Soldaten warten, der hochklettert und sofort von einer Kugel getroffen wird und herabstürzt. Das halten wir mit einem Schwenk fest: Das blüht dir, wenn du hochkletterst. Oben angekommen, wird die Vorwärtsbewegung kurz gestoppt, weil es direkt vor dem Schauspieler eine Explosion gibt, die ihn innehalten lässt. Erst dann fängt er an zu rennen. All das trägt zur Erzählung bei, macht gleichzeitig aber auch die technische Umsetzung erst möglich.
James denkt sehr in Bildern. Er hat die Geschichte vor Augen und versucht sofort, sie in Bilder und einzelne Schnitte zu übersetzen. Er hat eine unheimliche Filmerziehung, hat, wie es mir erscheint, nicht nur jeden Film gesehen, sondern für sich abgeheftet, wie sie gemacht wurden. Er übersetzt dieses Wissen auf unseren Film, hat sofort 1000 Referenzen parat und lässt sich davon inspirieren. Er hat eine absolute Leidenschaft für das, was er macht. Und findet, dass es der beste Job der Welt ist. Der Weg vom geschriebenen Wort hin zum Bild ist nicht immer ganz einfach. Wenn James mit dabei ist, habe ich keine Sorge, dass es uns gelingen wird.
Reiner Bajo
James Friend, Kameramann:
Ich kann ohne Zweifel sagen, dass er der talentierteste Regisseur ist, mit dem ich je gearbeitet habe. Er ist ein Genie. Unsere Zusammenarbeit ist etwas ganz Besonderes. Er weiß auf jeden Fall, wie er in meinen Augen das Beste aus mir herausholen kann. Ich arbeite auch deshalb so gerne mit ihm zusammen, weil ich das Gefühl habe, das Beste aus ihm herauszuholen. Ich würde sagen, wir haben die außergewöhnlichste Arbeitsbeziehung, die ich je mit einem Regisseur hatte.
Es war schwer, das zu filmen. Und es war schwer, das mit anzusehen. Das hat mich überrascht, aber auf positive Weise. Ich glaube, wir waren als Filmemacher erfolgreich, wenn der Film schwer anzusehen ist. Krieg ist schrecklich. Und letzten Endes handelt es sich um einen Antikriegsfilm, weil er die Realität des Krieges schonungslos darstellt und aufzeigt, mit welcher Naivität diese armen Jungs in den Krieg gezogen sind, weil sie von ihrer Regierung und Ihrem Land und Ihren Respektspersonen dazu verführt wurden. Es gibt da ein Zitat aus einem anderen Film: „Krieg bedeutet, dass junge Männer sterben und alte Männer reden.“ Ich erinnere mich daran, wie ich das zu Ed gesagt habe. Das ist etwas, das mir immer im Gedächtnis geblieben ist.
Der Klang des Krieges
Berger: Ich habe Volker (Bertelmann) den Film gezeigt, komplett ohne Musik, und sagte ihm, dass die Musik in IM WESTEN NICHTS NEUES meiner Ansicht nach drei Dinge erfüllen müsse: Erstens würde ich gerne einen Sound haben, der neu ist, den ich noch nicht kenne, der den Film auf eine andere Ebene hebt. Musik beeinflusst stark die Wahrnehmung des Zuschauers, kann seinen emotionalen Zugang steuern. Es sollte stark und anders sein als alles, was wir jemals gehört haben. Zweitens sollte die Musik die Bilder brechen, gegen sie angehen, sie kaputtmachen, sie zerstören. Nichts beschönigen, nichts sentimentalisieren. Drittens sollte sie einen Ton finden für das Gefühl, das Paul Bäumer im Bauch hat. Volker schickte mir die vorliegende Szene. Ich habe es mir angehört und wusste sofort: Das ist das, was ich haben will, was ich mir vor meinem geistigen Auge vorgestellt hatte. Die Bilder fangen ganz nüchtern die Maschine des Krieges ein. Der Erste Weltkrieg war der erste Krieg, der regelrecht industrialisiert war und auch bürokratisiert. Der Sterben ist ein Akt der Bürokratie. Dafür einen Sound zu finden, war wichtig. Volker hatte es sofort kapiert. Ich habe diese drei Akkorde danach immer den Led-Zeppelin-Sound genannt. Auf ihnen basiert der ganze Soundtrack. Sie klingen sehr modern, wurden aber auf einem 100 Jahre alten Instrument eingespielt: ein Harmonium, das er von seiner Großmutter geerbt hat. Mit den Knien pumpt man Luft rein, und dadurch hört man auch die Maschinerie dieses Instruments. Es knackt und knarzt. Das war perfekt.
Ich habe diese drei Akkorde danach immer den Led-Zeppelin-Sound genannt.
Edward Berger
Volker Bertelmann, Komponist:
Edward und ich sind prinzipiell einer Meinung, dass Musik den Film nicht zudröhnen muss mit irgendwelchen noch einmal abgespielten Emotionen. Es gibt Filme, die das gut vertragen, denen damit geholfen ist. Gerade im klassischen Kino erlebt man das oft, dass die Musik die Handlung eins zu eins begleitet. Im neuen Zusammenhang habe ich den Eindruck, dass die Menschen mehr und mehr Lust haben, nicht immer alle Informationen gleichzeitig zu hören. Es ist eine Überforderung: die ganze Zeit Musik, die ganze Zeit Action, die ganze Zeit laut. Wir mussten bei diesem Stoff überlegen, wie man Pathos vermeidet. Wir wollten immer bei der Geschichte des Protagonisten bleiben, die Verzweiflung und Aussichtslosigkeit einer Situation unterstreichen, in die er sich selbst gebracht hat, weil er voller Enthusiasmus losgezogen ist, fast wie bei einem Zeltlager, und sich nun in einer Mühle wiederfindet, die Menschenleben verschlingt. Das ist in unserem Fall der Erste Weltkrieg, aber natürlich nahtlos übertragbar auf bewaffnete Konflikte von heute, also etwas Aktuelles und Brisantes, absolut Jetziges. Man muss also aufpassen, wo man die Musik hinlegt, aber auch was man genau bedienen will. Man muss die Geschichte treffen und sich fragen, wie man sie dem Menschen, der sie sich unvoreingenommen ansieht, nahebringen kann.
Der Schmutz des Krieges
Berger: In dieser Szene liegt Paul im Bunker verschüttet unter der Erde und wird dann freigegraben. Felix Kammerer lag da wirklich unter der Erde. Wir hatten ein Loch gegraben, wo wir parallel mit der Kamera drehen konnten. Er muss befreit werden, aufgedeckt werden. Neben ihm liegt ein Toter auf dem Bauch, mit klarer Wunde im Hinterkopf, den Paul nur aus dem Augenwinkel wahrnimmt. Man sieht eigentlich nur ein Auge von Paul im Dunkeln, was dadurch zusätzlich akzentuiert wird, weil sein Gesicht eingeschmoddert ist mit schwarzem Dreck. Wunderbare Arbeit von Maskenbildnerin Heike Merker. Man wird ein bisschen nervös, wenn man den Hauptdarsteller nicht erkennt. Es war einer der ersten Drehtage. Und dann kommt er da raus und man sieht nur die Augen, alles andere strotzt vor Dreck. Natürlich muss Heike da auch immer die Continuity bewahren. Am Anfang ist es Make-up, Tonerde. Das verschmiert sich dann mit echtem Schlamm, weil es gar nicht anders geht, wenn er da unter der Erde liegt. Wir haben angefangen mit viel weniger, dann fiel die Erde auf ihn und er war pechschwarz. Heike hat sich das angeguckt und gesagt: „Ach so, so ist das… Ist doch gut!“ Damit konnte sie arbeiten.
Heike Merker, Maskenbildnerin:
Die Vorbereitung war sehr intensiv und mit viel Recherche verbunden. Das passende Material musste gefunden werden, der richtige Ton, die richtigen Farben. Für Edward war es von essenzieller Bedeutung zu wissen, welchen Look der Film haben würde und welchen nicht, um die Geschichte zu erzählen. Die Zusammenarbeit mit Edward war wunderbar. Er ist immer offen für Dialog, sucht den Austausch mit allen Gewerken. Für mich war es besonders wichtig, eng mit Kostümbildnerin Lisy Christl zu arbeiten – wie immer, wenn ich die Gelegenheit habe, einen Film mit ihr zu machen. Ganz grundsätzlich war es ein Film, der völlig anders war. Und das allein war eine Herausforderung, aber auch eine große Freude. Drei große Schlachten gab es. Plötzlich regnete es, ein Sturm, oder es war zu kalt. Manchmal war es dann zu warm und sonnig. Die Zeit reichte hinten und vorn nicht. Das Licht war unberechenbar. Und es war schwierig, sich im Matsch zu bewegen. Noch eine Explosion und dann noch eine, bis es nicht mehr möglich war.
Berger: Das geht natürlich auch auf das Kostüm über. Man muss sich vorstellen, wir hatten nicht nur ein Kostüm für die Hauptfigur, sondern mehrere Uniformen in verschiedenen Stadien der Zerfetzung. Anfangs ist es unschuldig, perfekt. Dieses Kostüm darf man dann auch nicht schmutzig machen, weil wir es vielleicht noch in diesem makellosen Zustand brauchen. Dann kommt ein weiteres Kostüm mit erstem Verschleiß, etwa zur Zeit des Bunkereinsturzes. Es folgt ein Zeitsprung. Paul ist seit eineinhalb Jahren an der Front. Die Uniform ist abgenutzt, lädiert. Und am Schluss gibt es noch eine weitere Fassung, da hängt die Uniform fast in Fetzen. Wir hatten mehrere Garderobieren und Textile Artists, die über mehrere Wochen damit beschäftigt waren, hunderte von Kostümen mit dem Reibeisen und anderen Werkzeugen zu zerschreddern. Wenn wir Winter suggerieren wollten, haben wir die Kostüme entsprechend bearbeitet, haben sie am Kragen eingeeist, damit die Eiseskälte rüberkommt. Albrecht Schuch haben wir ganz bleich geschminkt, nur die Nasenspitze und die Ohren haben wir rot akzentuiert. Und natürlich Eis. In den Bart, in die Augenbrauen, in die Haare. Man muss die Kälte spüren. Sie muss kriechen. Das alles erzielt man nur im Zusammenspiel der Gewerke.
Lisy Christl, Kostümdesignerin:
In einem der ersten Treffen, das ich mit Edward Berger hatte, sprachen wir genau darüber, wie kreativ man sein kann mit dem Kostümbild bei einem historischen Stoff wie diesem. Ja, die Uniformen sind vorgegeben, aber in diesen Uniformen stecken ganz unterschiedliche Charaktere, und man muss einfach vorsichtiger die Charaktere definieren. Man hat immer wieder die Möglichkeit, drunter oder reinzugucken, weniger wenn man mit ihnen auf dem Schlachtfeld ist, aber in den Momenten dazwischen. Um sie überzeugend zeichnen zu können, muss man recherchieren, wie sie gelernt haben, sich unter den unsäglichen Umständen bestmöglich am Überleben zu halten. Das spiegelt sich dann auch in seiner Uniform wider. Vielleicht hätte ich vor diesem Film noch mit den Achseln gezuckt und gesagt: Na ja, ist ein reiner Uniform-Film, da gibt es kaum Möglichkeiten bei der Kostümgestaltung. Mittlerweile würde ich das Gegenteil behaupten. Ich habe tatsächlich sehr wohl eine große Freude daran gefunden, dazwischen und reinzugucken: Wenn man zu wenig Möglichkeiten hat, Charaktere zu zeichnen, dann muss man einfach noch genauer und spezifischer sein.
Berger: Die Anlage der Schützengraben haben wir im Vorfeld minuziös geplant. Zusammen mit James Friend habe ich festgelegt, was wir benötigen werden. Jeder Meter dieses Labyrinths kommt im Film zum Einsatz. Wir haben die Längen genau bemessen, jede Biegung und Abzweigung, jedes Schützennest, jede Einbuchtung. Unser Szenenbildner Christian Goldbeck hat das dann kongenial angelegt und umgesetzt. Wir haben auf einem großen Arreal vor den Toren von Prag gedreht. Dort haben wir gleich festgestellt, wie braun die Erde ist. In Tschechien ist es wie in Berlin, in erster Linie böhmischer Sand. Das sieht nicht so gut aus. Es suggeriert Hitze und Wüste, anstatt Kälte und Eis. Also haben wir noch extra schwarze Erde angekarrt, damit es schwarz und verbrannt aussieht. Der Eindruck setzt sich dann auf dem Schlachtfeld vor dem Schützengraben fort. Wir haben Bombenkrater angelegt und teilweise mit Wasser gefüllt, um den Effekt zu verstärken.
Christian M. Goldbeck, Szenenbildner:
Gleich im ersten Gespräch war Edward und mir die Feststellung sehr wichtig, dass in historischen Filmen Kriegsgeschehnisse fast immer als grausam dargestellt, aber meistens aus der Sicht der Sieger gezeigt werden: Es sind Heldengeschichten. Der Roman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque ist definitiv keine Heldengeschichte. Den stetigen Niedergang unseres Protagonisten Paul wirklich so darzustellen, dass wir auf der einen Seite nicht übertreiben, aber auf der anderen Seite so real wie möglich bleiben, war unser erster Ansatz. Um genau zu bestimmen, wieviel Laufmeter wir denn eigentlich brauchen, um der Handlung und Action gerecht zu werden, haben wir das mit der Stoppuhr nachgemessen. Wie sieht die Verflechtung von einem Schützengraben aus? Es war wie ein Puzzlespiel, was wir zwei Monate lang versucht haben, am Reißbrett festzuhalten, Szene für Szene zu zirkeln und herauszufinden, was absolut essenziell ist.
Krieg dem Kriege
Berger: Die Szene spielt früh am Morgen, es herrscht klirrende Kälte, Morgenfrost. Die Schauspieler tragen wieder ihre eingeeisten Kostüme. Ein dröhnendes Geräusch kündigt die Panzer an, die vom Production-Design gebaut wurden und die aus einem gelben Nebel auftauchen, den wir der SFX-Abteilung zu verdanken haben. Um diese Szene wirklich funktionieren zu lassen, ist ein ganz genauer Schnitt nötig. Das trifft sicherlich auf alle Szenen des Films zu, aber hier kommt dem Editing von Sven Budelmann eine ganz besondere Rolle zu. Bemerkenswert ist, dass jeder einzelne Edit bereits in den Storyboards angelegt ist. Alles war exakt geplant. Genauso haben wir es gedreht, und genauso haben wir es dann auch geschnitten. Das Zusammenspiel von Vorplanung und Schnitt ist extrem wichtig. Das gilt auch für die anderen Abteilungen: Jeder muss genau wissen, was von ihm verlangt ist. Die Panzerszene ist ungemein komplex. Leute fliegen in die Luft, es regnet Sand und Dreck auf die Figuren hinab, der Panzer muss über den Schützengraben hinwegfahren – was er natürlich nicht in echt machen kann, er würde zusammenbrechen; diese Momente haben wir an einem eigenen Abschnitt des Schützengrabens gedreht.
Ein Panzer rollt über den Graben und Paul hinweg, der nach oben schießt. Das kann man selbstverständlich nicht live drehen, das muss in separaten Elementen realisiert werden. Wir hatten eine Sektion des Schützengrabens, die vom Szenenbild extra verstärkt wurde, damit der Panzer tatsächlich darüber hinwegfahren konnte und nicht einfach einbricht. Nur so konnte der Kameramann tatsächlich darunter stehen. Teilweise sind die Schnittfolgen in dieser Szene rasant, keine Einstellung ist länger als zwei oder drei Sekunden. Dazu muss man sagen: Sie sind auch nicht viel länger gedreht. Aber im Grunde konnte Sven das gedrehte Material einfach anhand der Storyboards montieren, und es kam dem gewünschten Effekt der Szene schon sehr nahe. Wir wussten immer genau, was zu drehen war. In diesem Moment kam es darauf an, einen filmischen Weg zu finden, wie man den größten Horror für die Soldaten bewirken kann. Wir haben mit der Kamera suggeriert, dass wir uns unter dem Panzer befinden und nach oben blicken. Soll heißen: Es gibt einen Schwenk, in dem der Panzer über uns hinwegfährt. In diesem Moment lassen wir eine ganze Wand aus Dreck auf Felix herabregnen, die Kamera vibriert wie der ganze Boden. In einem Close-Up schneiden wir auf Aaron Hilmer, der wie von Sinnen schreit. In Wahrheit ist da kein Panzer weit und breit. Aber die Schnittfolge suggeriert, dass der Panzer direkt an ihm vorbeirollt. Gerade gab es auch einen PoV von einem Panzer, der zwei junge Soldaten zerquetscht und zermalmt. Wir zeigen das nicht aus Selbstzweck. Wir wollen nur eindeutig klarmachen, was für unsere Jungs auf dem Spiel steht, wie groß der Schrecken ist, dem sie hilflos ausgesetzt sind.
Sven Budelmann, Editor:
Für den Regisseur ist der Anfang eine harte Nummer. Während ich mich bereits seit Monaten einarbeiten konnte und mich in dieser Welt bereits auskenne, steigt er jetzt ein und muss so schnell wie möglich auf den Stand kommen, auf dem ich mich befinde. Man will auf Augenhöhe arbeiten. Ich weiß bereits, wie es sich anfühlt, wenn man unseren Hauptdarsteller zehn Sekunden länger in der Totalen sieht anstatt zehn Sekunden im Close-up. Das sind Prozesse, in die sich der Regisseur einfinden muss. Ihm die nötige Zeit zu geben und vielleicht auch Sachen auszuprobieren, die man selbst schon ausprobiert und wieder verworfen hat, ist wichtig. Für mich war das ein interessanter Moment, weil ich gezwungen war, mich in den Kopf von Edward zu versetzen, fast wie eine zweite Sichtweise, ein spannendes Korrektiv und sehr gut für den Film. Auf diese Weise haben wir jeden Stein wirklich dreimal umgedreht, alles noch einmal abgeklopft, um die jeweils optimale Lösung zu finden. Es gibt ein Zitat: Der Krieg ist wie ein Schachspiel. Ich denke, man kann es auch für unseren Prozess beim Schnitt anwenden.
Um mehr über die Entstehung von IM WESTEN NICHTS NEUES zu erfahren, sehen Sie sich hier das spezielle Video hinter den Kulissen an.